Es gibt Bauwerke, die schon durch ihre Form oder Größe beeindrucken – und dann gibt es den Daniel-Turm der St. Georgskirche in Nördlingen, der bereits in seinem Fundament eine Geschichte aus den Tiefen des Universums trägt. Wer den 90 Meter hohen Glockenturm betrachtet, sieht zunächst nur einen mächtigen, spätgotischen Bau aus hellen Steinquadern. Doch hinter dieser Fassade verbirgt sich ein Material, das älter ist als jede menschliche Zivilisation und dramatischer entstand, als es sich selbst die kühnsten Chronisten ausmalen könnten.

Vor etwa 14,5 Millionen Jahren krachte ein gigantischer Meteorit in das Gebiet, das heute als Nördlinger Ries bekannt ist. Mit einer Wucht, die alles Leben im Umkreis vernichtete, riss er einen Krater von fast 25 Kilometern Durchmesser in die Erdoberfläche. Die unvorstellbare Hitze und der Druck verwandelten das vorhandene Gestein in eine neue Form – Suevit, ein poröses, glasdurchsetztes Gestein, durchsetzt mit winzigen Einschlüssen von Quarz, der unter dem Einschlagsdruck in eine besondere, nur im Labor oder bei Meteoritenkratern vorkommende Form gezwungen wurde.


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Als Jahrmillionen später hier Menschen siedelten und ihre ersten Kirchen bauten, ahnte niemand, welch außerirdischen Schatz sie unter den Füßen hatten. Der Suevit ließ sich erstaunlich gut bearbeiten, war stabil und gleichzeitig leicht. So wurde er im 15. Jahrhundert zum bevorzugten Baumaterial für den Bau des Daniel-Turms verwendet. Stein um Stein, Quader um Quader trugen die Baumeister kosmische Trümmer in die Höhe, ohne zu wissen, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes ein Bauwerk aus Sternenstaub errichteten.

Heute ist der Daniel nicht nur ein Wahrzeichen Nördlingens, sondern ein einzigartiger Zeuge dafür, wie kosmische Gewalt und menschliche Kunstfertigkeit miteinander verschmelzen können. Wer den Turm besteigt, steigt nicht nur 350 Stufen in die Höhe, sondern auch in der Geschichte zurück – weit über die Entstehung der Stadt hinaus, zurück zu einem Augenblick, in dem Himmel und Erde aufeinanderprallten.

Und während die Glocken über den Krater hinweg läuten, schwingt immer auch ein stiller Gedanke mit: dass dieser Turm nicht nur von Menschenhand geschaffen wurde, sondern in seinem Innersten ein Überbleibsel einer uralten Katastrophe ist. Ein Monument aus kosmischem Staub, der einst glühend vom Himmel fiel und nun als Kirchturm in den Himmel ragt – ein stiller Gruß aus der Tiefe der Zeit.