Vor rund 15 Millionen Jahren geschah im heutigen bayerischen Ries eine kosmische Katastrophe, die die Landschaft für immer veränderte. Ein riesiger Meteorit raste mit unvorstellbarer Geschwindigkeit auf die Erde zu und schlug mit einer Wucht ein, die Milliarden Tonnen Gestein zum Schmelzen brachte. In diesem glühend heißen Inferno, bei Temperaturen von weit über 2.000 Grad, entstand ein Gestein, das es so nirgendwo sonst auf der Welt in dieser Form gibt: Suevit. Dieses unscheinbare, grau-gelbe Gestein trägt in sich ein Geheimnis, das erst Jahrmillionen später ans Licht kam – es ist übersät mit mikroskopisch kleinen Diamanten, geboren aus dem Moment des Einschlags.
Die Diamanten sind winzig, meist nur Bruchteile eines Millimeters groß, zu klein, um sie zu Schmuck zu verarbeiten. Doch ihre Existenz ist wissenschaftlich wie kulturell eine Sensation. Sie entstanden, weil der Meteorit beim Aufprall ungeheure Druckwellen erzeugte – Millionen Atmosphären – die den im Gestein enthaltenen Kohlenstoff in Diamanten verwandelten. Was einst Kohlenstoff in Form von Graphit war, verwandelte sich im Bruchteil einer Sekunde in funkelnde Kristalle, eingebettet im Suevit, wie winzige Sterne in einer erstarrten Lava.
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Die Bewohner des Rieskraters wussten Jahrhunderte lang nichts von dieser Besonderheit. Für sie war der Suevit einfach ein leicht zu bearbeitendes Baumaterial, das in der ganzen Region reichlich vorkam. Seine poröse Struktur machte ihn handlich für den Bau, und so wurde er zum Grundstoff für unzählige Gebäude in Nördlingen. Erst in den 1960er Jahren erkannten Geologen, dass hier nicht nur vulkanisches oder sedimentäres Gestein verbaut worden war, sondern Überreste eines Meteoriteneinschlags – und dass diese Steine tatsächlich Diamanten enthielten.
Wer heute durch die Altstadt von Nördlingen schlendert, wandelt unbemerkt auf einem Meer aus kosmischer Geschichte. Die mächtigen Mauern, die Türme, ja selbst die prächtige St.-Georgs-Kirche mit ihrem markanten „Daniel“-Turm bestehen zu großen Teilen aus diesem Meteoriten-Gestein. Jedes einzelne Mauerstück trägt Spuren eines Ereignisses, das vor Millionen Jahren stattfand, und macht die Stadt damit zu einem einzigen begehbaren Geologie-Museum. Nicht ohne Grund trägt Nördlingen den poetischen Beinamen „Stadt der Diamanten“.
Das Suevit-Gestein ist ein Weltunikat. Es ist nicht nur selten, es ist untrennbar mit dem Rieskrater verbunden – einem der am besten erhaltenen Meteoritenkrater der Erde. Nirgendwo sonst existiert eine Stadt, deren historische Bausubstanz aus einem Material besteht, das buchstäblich aus dem Himmel gefallen ist. Die Diamanten darin sind keine Luxusgüter, sondern winzige Zeugen eines kosmischen Dramas, fest eingeschlossen in den Mauern einer mittelalterlichen Stadt.
Wer diese Geschichte nicht nur hören, sondern sehen will, kann im RiesKraterMuseum in Nördlingen selbst auf die Suche nach den funkelnden Spuren gehen. Unter dem Mikroskop offenbart sich eine andere Welt: winzige Diamanten, glitzernd wie Staub vom Mond. Danach spaziert man hinaus in die Gassen und betrachtet die Gebäude mit neuen Augen – wissend, dass hinter jeder Steinplatte eine Geschichte verborgen ist, die nicht von dieser Welt stammt.
